A. Einführung
Handwerksbetriebe müssen bei ihren Gewerken vollumfänglich die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ einhalten. Werden die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht beachtet, wird seitens der Rechtsprechung schnell ein Sachmangel iSv § 633 BGB unterstellt.
Bei den allgemein anerkannten Regeln der Technik („aaRdT„) handelt es sich um diejenigen Regeln, die sich in der Praxis bewährt haben und in der Branche als technisch geeignet, notwendig und angemessen betrachtet werden, um fehlerfrei zu bauen. Was genau zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik gehört ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Es handelt sich um Branchenwissen. Inhaltlich zählen zu den aaRdt dabei nicht nur Regeln, die die Sicherheit eines Gewerkes gewährleisten, sondern auch Regeln, die ausschließlich der Erhöhung des Komforts dienen.
Bei dem „Gebäudetyp-E“ handelt es sich um ein Schlagwort, dass für „einfaches, experimentelles und effizientes“ bauen steht. Es zielt darauf ab, denjenigen Teil der aaRdT bei der Auftragsdurchführung (zumindest teilweise) auszuklammern, die lediglich Ausstattungs- und Komfortmerkmale zum Regelungsgegenstand haben.
Das Bauen nach dem Gebäudetyp-E beschreibt damit ein im Einzelfall kostengünstigeres und an den jeweiligen Kundenbedarf besser angepasstes Bauen.
B. Aktuelle Lage
Auch heute ist es bereits möglich im Bauvertrag mit dem Bauherren Abweichungen von den aaRdT zu vereinbaren. Die formellen Hürden sind allerdings hoch. Möchte Kunde und Handwerksbetrieb von den aaRdT abweichen, so treffen den Handwerksbetrieb umfangreiche Aufklärungs- und Dokumentationspflichten.
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat hierzu in einem über 50 Seiten umfassenden Dokument umfangreiche Leitlinien und Prozessempfehlungen entworfen, die die Anforderungen an eine wirksame Vereinbarung erläutern. Die Einhaltung dieser Anforderungen ist nur möglich, wenn Jurist und Handwerksbetrieb bei der Vertragserstellung Hand in Hand zusammen arbeiten.
C. Das neue Gebäudetyp-E-Gesetz
Mit Datum vom 29.07.2024 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz nun den Referentenentwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus.
1. Bauvertrag (§ 650a BGB)
Der Gesetzesentwurf zielt zum Einen darauf ab, in § 650a BGB eine neue Regelung aufzunehmen, mit der zukünftig vermutet wird, dass bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale abbilden, keine anerkannten Regeln der Technik sind.
Der neue § 650a BGB würde dann wie folgt aussehen:
§ 650a BGB
Bauvertrag
(1) Ein Bauvertrag ist ein Vertrag über die Herstellung, die Wiederherstellung, die Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon. 2Für den Bauvertrag gelten ergänzend die folgenden Vorschriften dieses Kapitels.
(2) Ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks ist ein Bauvertrag, wenn das Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist.
(3) Es wird vermutet, dass
- bautechnische Normungen, die sicherheitstechnische Festlegungen enthalten, anerkannte Regeln der Technik sind und
- bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale abbilden, keine anerkannten Regeln der Technik sind.
(Stand 21.06.2024)
Für Bauverträge iSv. § 650a BGB würde dies eine erhebliche Vereinfachung bedeuten. Bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale zum Gegenstand haben, müssten dann nicht mehr vertraglich aufwändig abbedungen werden.
Umgekehrt, besteht der Kunde trotzdem auf bestimmte Ausstattungs- und Komfortmerkmale, kann dies über eine einfache Ergänzung der Beschaffenheitsvereinbarung jederzeit realisiert werden.
Für bautechnische Normungen, die sicherheitstechnische Festlegungen enthalten, bleibt es dagegen beim aktuellen Status quo. Die bestehenden Aufklärungs- und Dokumentationspflichten bleiben bestehen.
2. Gebäudebauverträge zwischen fachkundigen Unternehmern
Mit dem neuen Gebäudetyp-E-Gesetz würde aber ebenfalls ein neuer Vertragstyp eingeführt, namentlich der
„Gebäudevertrag zwischen fachkundigen Unternehmern„.
Im reinen B2B Geschäft zwischen im Bauwesen fachkundigen Unternehmern, können dann von den aaRdT abweichende Beschaffenheitsvereinbarungen auch in Bezug auf sicherheitstechnische Regelungen getroffen werden, ohne entsprechende Aufklärungspflichten über die damit verbundenen Risiken und Konsequenzen erfüllen zu müssen.
3. Wann treten die neuen Regelungen in Kraft?
Das Gesetz ist bisher noch nicht in Kraft getreten. Aktuell ist geplant, dass der Gesetzesentwurf noch vor Ende 2024 beschlossen wird. Das Gesetz könnte dann Anfang 2025 bereits in Kraft treten.